Pionierarbeit

Ab dem Jahr 2007 begab ich mich bewusst auf den Scrum Weg, motiviert durch meine unermüdliche Suche nach verbesserten Methoden der Zusammenarbeit innerhalb von Organisationen. Meine früheren Erfahrungen als Trainerin für Java und objektorientierte Programmierung hatten mich bereits mit der Notwendigkeit konfrontiert, über traditionelle Arbeitsmethoden hinauszudenken. Die Entdeckung systemischer Aufstellungen, eine Methode, die von Bert Hellinger entwickelt wurde, markierte einen Wendepunkt in meinem Verständnis von organisatorischen und interpersonellen Dynamiken. Die intensive Auseinandersetzung mit Coaching, Gruppendynamik, Soziodrama und insbesondere mit der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg bereicherten meinen Werkzeugkasten für die Begleitung von Menschen und Teams in Veränderungsprozessen. Ich hatte Ausbildungsgruppen und ich war in hunderten von Aufstellungen dabei. Auch Bert Hellinger habe ich live in action erlebt. 

Die Faszination für Scrum wurzelte vor allem in der Idee der selbstorganisierenden Teams. Diese Idee spiegelte meine Erkenntnis wider, dass in der wachsenden Komplexität des Internets und der Entwicklung von Java-Systemen das volle Potential jedes Teammitglieds unerlässlich ist. Ein Team muss in der Lage sein, sein gemeinsames Potential zu entfalten und zu nutzen.

Die Veröffentlichung des agilen Manifestes im Jahr 2001 gab dem Konzept der Agilität einen Rahmen und einen Namen. Scrum gab es schon seit Anfang der Neunziger und es war etwas radikal neues. Die Konzepte der Selbstorganisation und Sprints veränderten grundlegend meine Sichtweise auf Projekte und Teamarbeit. Die Erkenntnis, dass Zeit relativ ist und dass Teams ihre eigenen Dynamiken und Strukturen effektiv gestalten können, war revolutionär.

Sprints

Der Unterschied zwischen „Clock-Time“ und „Einstein-Time“ wird in der Struktur eines Sprints deutlich. Die Frage, was man in zwei Wochen erreichen kann, unterscheidet sich grundlegend von der Frage, wie lange man für zwanzig Aufgaben benötigt. Wenn die Dauer eines Sprints festgelegt ist, wird die Zeit, die eine Aufgabe in Anspruch nimmt, relativ. Albert Einstein stellte fest, dass Zeit relativ ist – eine Erkenntnis, die auch im Kontext von Scrum eine wichtige Rolle spielt.

Selbstorganisierende Teams: Eine neue Art der Zusammenarbeit

Ein selbstorganisierendes Team unterscheidet sich fundamental von einer Gruppe, die von einem Teamleiter geführt wird, der Aufgaben zuteilt und deren Erledigung kontrolliert. Die Beziehungen innerhalb eines echten selbstorganisierenden Teams sind lateral, nicht hierarchisch. Dieser Ansatz fördert die Eigenverantwortung, Kreativität und Initiative jedes Teammitglieds und bildet die Basis für agiles Arbeiten.

Als Pionierin unterwegs mit Scrum

Mit der wachsenden Popularität von Scrum in Europa wurde ich Zeugin und Begleiterin vieler Teams, die sich auf den Weg machten, Scrum zu lernen und in ihre Arbeitsprozesse zu integrieren. Die Erfahrungen aus diesen Begegnungen stärkten meine Überzeugung, dass die agilen Prinzipien, insbesondere das Primat von Individuen und Interaktionen über Prozesse und Werkzeuge, ein Echo der als feminin wahrgenommenen Werte von Beziehung, Verbindung und Interaktion darstellen.

Als Scrum in Europa größer wurde, traf ich sehr viel Teams in Unternehmen oder in offenen Kursen, die Scrum lernen wollten. Viele Teilnehmer hatten schon enorm viel Erfahrung mit Scrum Sie kamen in die Trainings um sich mit anderen auszutauschen. Ich wurde zu einem guten Facilitator. Ich schuf Räume, in denen die Teilnehmer voneinander lernen konnten und ich von ihnen. 

Was ich in diesen Jahren lernte

In diesen ersten Jahren stiess ich auf mega erfolgreiche Scrum Teams in ganz Europa. Selbstorganisierte Teams, die ihr volles Potential entwickeln können, die werden exponentiell Kreativ. In allen großen und kleinen Firmen gab es solche Teams. Sie experimentierten mit Scrum und waren sehr erfolgreich. Dies waren fast immer Grassroot Bewegungen in Unternehmen. Das erste Prinzip des agilen Manifestes stand im Mittelpunkt:

„Wir erschließen bessere Wege, Software zu entwickeln,
indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen.
Durch diese Tätigkeit haben wir diese Werte zu schätzen gelernt: Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge“. 

Dieses Prinzip läßt sich so interpretieren, dass als feminin angesehene Eigenschaften, wie Beziehungen, Verbindung und Interaktion, wichtiger ist als maskuline. Mit Prozessen ist hier Struktur gemeint, die genau Vorschreibt, was zu tun ist, wie an einem Fließband. Das ist ein maskulines Prinzip. Ich interpretiere das agile Manifest so, dass alle Werte die auf der Linken Seite stehen im Kern feminine Eigenschaften sind . Die auf der rechten Seite, die nicht so sehr geschätzt werden, sind im Kern maskuline Prinzipien.

Es war eine Freude, mit diesen Teams zu arbeiten. Die Vorgesetzten standen hinter dem agilen Mindset und führten es. So bekam ich Projekte in sehr innovativen Bereichen zu Gesicht, wie beim Car Sharing, Elektromobilität, Connected Drive Projekte. Die Konkurrenz zu Dropbox bei Unternehmen in der Cloud. In Schweden berichteten die Kollegen über Spotify. Auch Unternehmen, wie Google und Tesla hatten den agilen Mindset. Microsoft schwenkte um auf Agilität in der Softwareentwicklung.

Herausforderungen der agilen Bewegung

Die rasante Verbreitung und der Erfolg agiler Methoden führten auch zu Herausforderungen. Die kommerzielle Vereinnahmung und die Abkehr von den Grundprinzipien der Agilität zeigten die Grenzen einer rein instrumentellen Anwendung von Scrum. Prozesse und Tools wurden wichtiger als Menschen und deren Beziehungen. Der Begriff Scrum wurde in vielen Unternehmen zu verbrannter Erde. Ken Schwaber’s Kritik an einer Verwässerung agiler Frameworks durch, wie ich es beschreiben möchte, ein maskulines Mindset, warnte vor den Konsequenzen dieser Entwicklung. In seinem Blog unSAFe at any speed löste er 2013 einen regelrechten Shitstorm aus. Er sollte Recht behalten.

Die nächste Welle

Die Reise mit Scrum und die Erfahrungen als Pionierin in diesem Feld haben mich gelehrt, dass echte Agilität über die technischen Aspekte hinausgeht und eine kulturelle Transformation erfordert, die sowohl feminine als auch maskuline Prinzipien wertschätzt und integriert.

Die nächste Welle der Agilität, die ich nun erlebe, verspricht eine noch stärkere Betonung dieser integrativen Ansätze, die für die Bewältigung der Herausforderungen unserer Zeit unerlässlich sind.