Meine Suche nach Lösungen für die ganzen menschlichen Herausforderungen ging weiter. Als Pionierin mit agiler Führung stiess ich immer öfter auf meine eigenen inneren Glass-Ceilings. Ich war eine der ganz wenigen Frauen die als Scrum Trainerin unterwegs war, in einem männerdominiertem Revier. Ich wurde genau so gut bezahlt, wie jeder Mann und ich wurde auch respektiert und gut behandelt. Trotzdem spürte ich mein eigenes inneres Imposter Phänomen. 

Was war geschehen? Scrum breitete sich sehr stark in der Softwaredomäne aus. Jedes größere Unternehmen in der Telekommunikation, in der Automobilindustrie, in der Pharmaindustrie, bei Banken, Versicherungen und bei Tech-Unternehmen. Dies führte dann schnell zu Gegnern. Wenn ein Unternehmen die Transformation von einem hierarchisch geführten Unternehmen, zu einem eher holarchisch organisierten Unternehmen macht, dann fliegen die Fetzen.

 

Mein Weg zu Feminine Power

 

Die Arbeit von Claire Zammit bildet einen wesentlichen Meilenstein für Frauen, die nach Wegen suchen, ihre Beziehung zum Ganzen zu verstehen und zu gestalten. Ihre bahnbrechende Dissertation mit dem Titel „Feminine Power as a tripartite system of relatedness“ bietet tiefe Einblicke in die essenzielle Rolle femininer Energie und Stärke in der Gestaltung von Beziehungen und der Verbindung zum universellen Ganzen.

Tripartite System der Verbundenheit

Zammit eröffnet in ihrer Arbeit eine neue Perspektive auf die Macht des Femininen, indem sie es als ein dreiteiliges System der Verbundenheit darstellt. Dieses Modell bietet einen Rahmen, innerhalb dessen Frauen ihre eigene Stärke erkennen und entwickeln können, nicht durch Isolation oder Wettbewerb, sondern durch die tiefe Verbindung mit sich selbst, anderen und dem Leben selbst. Auch ich bekam mich,  mit Hilfe von Claire, auf diese Reise.

Selbst-Beziehung

Der erste Aspekt des tripartiten Systems betrifft die Beziehung zu sich selbst. Zammit argumentiert, dass die Entdeckung und Entfaltung der eigenen femininen Kraft beginnt, wenn Frauen, aber auch Männer, lernen, ihre innere Weisheit und Intuition zu hören und zu ehren. Dieser Selbstbezug ist grundlegend für die Entwicklung eines starken inneren Kerns, von dem aus sie authentisch handeln und mit der Welt um sie herum in Beziehung treten können.

Beziehung zu Anderen

Der zweite Aspekt fokussiert auf die Beziehung zu anderen. Claire Zammit hebt hervor, wie die feminine Kraft durch Empathie, Zusammenhalt und die Fähigkeit zur tiefen emotionalen Verbindung charakterisiert wird. Diese Qualitäten ermöglichen es Frauen, starke und unterstützende Gemeinschaften zu bilden, in denen Wachstum, Heilung und Transformation möglich sind.

Beziehung zum Leben

Der dritte und umfassendste Aspekt ist die Beziehung zum Leben selbst. Hier geht es um die Anerkennung, dass wir Teil eines größeren Ganzen sind und unsere Handlungen und Entscheidungen in Resonanz mit den tieferen Strömungen des Lebens stehen. Zammit zeigt auf, dass das Verständnis und die Integration dieses Aspekts Frauen befähigt, mit größerem Vertrauen und Sinn für ihren Platz in der Welt zu handeln.

Integration auf der Ebene von Spiral Dynamics Integral

Claire Zammits Arbeit bietet Frauen einen Weg, ihre eigene Entwicklung und die Art und Weise, wie sie in der Welt agieren, zu verstehen. Es ist eine Einladung, über traditionelle Rollenmuster hinauszugehen und eine neue Art der Macht zu entdecken – eine, die auf Verbundenheit, Kooperation und dem Bewusstsein für das größere Ganze beruht.

Claire Zammit liefert mit ihrer Forschung nicht nur einen wichtigen Beitrag zur feministischen Theorie und Praxis, sondern bietet auch praktische Wege an, wie Frauen ihre einzigartigen Stärken erkennen und zum Wohl ihrer Gemeinschaften und der Welt einsetzen können. Ihre Arbeit ermutigt Frauen, die transformative Kraft der femininen Energie zu umarmen und sich als aktive Mitgestalterinnen einer integrierten, bewussten und vernetzten Welt zu sehen.

 

Lockdown

Inmitten der globalen Herausforderung, die die Corona-Pandemie darstellte, fand ich eine unerwartete Gelegenheit: die Welt des Online-Trainings öffnete sich mir. Diese Phase wurde zu einem Wendepunkt auf meiner Reise zur Entdeckung und Förderung femininer Stärken in der agilen Welt. Die Einladung an Tausende von Frauen, sich in dem wachsenden Feld der Agilität zu engagieren und mit ihnen in einen Dialog zu treten, markierte den Beginn einer intensiven Forschungsreise. Inspiriert durch meine Arbeit mit Claire und den Austausch in meinen POD-Gruppen, trat ich in eine Phase des persönlichen Wachstums ein, die tiefe Einblicke in die Bedürfnisse und Wünsche von Frauen in technologieorientierten Berufsfeldern offenbarte.

Überraschende Feedbacks und die Erkenntnis des Gender-Bias

Die Rückmeldungen, die ich von den teilnehmenden Frauen erhielt, waren sowohl phänomenal als auch überraschend. Ich war tief berührt von der Offenheit und der Ehrlichkeit, mit der die Frauen ihre Erfahrungen, Wünsche und die von ihnen wahrgenommenen Geschlechter-Voreingenommenheiten teilten. Es wurde deutlich, dass der Gender-Bias in der Technologie- und Softwarebranche weit größer und tiefgreifender war, als ich es mir vorgestellt hatte. Die Zusammenarbeit mit Claire ermöglichte es mir, die immense Sehnsucht von Frauen nach einer stärkeren Verbindung zum Femininen – sowohl im professionellen als auch im persönlichen Kontext – zu erkennen und zu verstehen.

Historisch gesehen haben sich Gesellschaften häufig an männlich geprägten Wissens- und Verhaltensweisen orientiert und versucht, sich in ein patriarchalisches System einzufügen, das Shaef als „weißes männliches System“ bezeichnet. Die Erkenntnisse aus dem Kapitel „Der Aufstieg der Frauen“ zeigen, dass dieser Ansatz für viele nicht erfolgreich war. Die vorgeschlagene Lösung besteht darin, einen neuen Orientierungspunkt zu finden, einen „neuen Nordstern“. Dies beinhaltet eine Neuausrichtung und die Wiederanbindung an das Weibliche.

Diese Idee betont die Notwendigkeit, unsere Perspektiven und Methoden zu überdenken, um ein inklusiveres und ausgewogeneres Verständnis von Wissen und Sein zu fördern. Es geht darum, Werte und Praktiken, die traditionell als feminin angesehen werden, wie Empathie, Kooperation und Fürsorge, stärker in den Vordergrund zu rücken. Dieser Wandel könnte helfen, die Ungleichgewichte und Beschränkungen zu überwinden, die durch das Festhalten an einem überwiegend maskulinen Paradigma entstanden sind.

Die Umsetzung dieser Idee in praktische Handlungen erfordert ein tiefgreifendes Umdenken in vielen Bereichen unseres Lebens und unserer Gesellschaft, einschließlich der Arbeitswelt, der Bildung und der zwischenmenschlichen Beziehungen. Es geht darum, Strukturen zu schaffen, die Vielfalt und Inklusion fördern, und einen Raum zu bieten, in dem verschiedene Arten des Wissens und Seins gleichermaßen geschätzt und genutzt werden können.

Claire Zammit hat sich in ihrer Doktorarbeit damit auseinandergesetzt und beschreibt das so, dass diese Perspektive uns einlädt, darüber nachzudenken, wie wir unsere eigenen Überzeugungen und Praktiken gestalten können, um eine gerechtere und ausgeglichenere Welt zu fördern. Es geht nicht darum, das Maskuline abzulehnen, sondern um die Anerkennung und Integration des Wertes, den das Feminine in allen Bereichen des Lebens bieten kann. Die Suche nach einem neuen Nordstern ist letztlich ein Aufruf, eine vielfältigere und integrativere Zukunft zu gestalten.

Agil und Feminin: Die Geburtsstunde neuer Websessions

Angesichts dieser Erkenntnisse initiierte ich eine Reihe von Online-Websessions, die speziell darauf abzielten, den Raum für agile Praktiken und feminine Werte in der Arbeitswelt zu öffnen. Dabei fiel mir auf, dass Technologie für viele Frauen nicht im Mittelpunkt des Interesses steht und häufig wenig Begeisterung auslöst. Stattdessen waren es die Sessions und immersiven Workshops zum Thema „Agil und Feminin mit Selbstvertrauen“, die auf große Resonanz stießen. Diese Begegnungen verdeutlichten, dass der Schlüssel zur Förderung weiblicher Präsenz und Stärke in der agilen Community nicht in der reinen Technologievermittlung liegt, sondern in der Schaffung eines Umfeldes, das es Frauen ermöglicht, ihre eigenen Wege zur Ausübung von Einfluss und Macht zu entdecken und zu gehen.